Dieser Beitrag ist Teil des Internet-Projekts www.geschichte-schweiz.ch, obwohl Adolf Hitler, der Nationalsozialismus und der Holocaust ganz klar keine schweizerischen Phänomene sind. Man kann allerdings die Geschichte der Schweiz von 1933 - 1945 (insbesondere die "Geistige Landesverteidigung") und die Nachwehen des 2. Weltkriegs in den 1990'er Jahren (Vorwürfe betr. Flüchtlingspolitik, Nachrichtenlose Vermögen, Raubgold etc.) ohne einen Blick auf die Ereignisse in Deutschland nicht verstehen, auf welche die Schweiz reagieren musste. Der überwiegende Teil der Schweizer Bevölkerung war gegen die nationalsozialistischen "Blut und Boden" - Parolen resistent, nur eine kleine Minderheit ("Frontenbewegung") sympathisierte mit Adolf Hitler und dem Nationalsozialismus.
Adolf Hitler begründete die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) und gab ihr eine menschenverachtende Ideologie, deren grauenhafte Auswirkungen in der Geschichte nie mehr erreicht wurden: 6 Millionen Juden wurden in so genannten Konzentrationslagern ermordet und rund 50 Millionen weitere Menschen verloren im 2. Weltkrieg ihr Leben.
Adolf Hitler stammte aus dem österreichischen Braunau (nahe der bayerischen Grenze). Er litt an einem Minderwertigkeitskomplex und tief sitzenden, nicht verarbeiteten Ängsten. Schon im 19. Jahrhundert hatte eine breite Strömung des modernen Antisemitismus pseudo-wissenschaftlich Halbwahrheiten aus den verschiedensten Quellen mit alten Vorurteilen gegen die Juden verbunden, die Überlegenheit der "arischen Rasse" und die deutsche Grösse beschworen. Hitlers grenzenloser Hass wendete sich gegen alle angeblichen Feinde deutscher Grösse - den Kapitalismus, den Bolschewismus (Kommunismus) und ganz besonders das Judentum, das er in beiden als treibende Kraft sah (Walther Hofer, Der Nationalsozialismus, S. 15f.).
Dies alles war nicht wirklich neu und Hitlers Putschversuch 1923 in München hätte eine Episode der bayerischen Geschichte bleiben können, wenn nicht mit dem späteren nationalsozialistischen Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels ein ebenso genialer wie gewissenloser Psychologe zu Hitler gestossen wäre, der es verstand, die durch den Untergang der deutschen Monarchie und die Wirtschaftskrise verunsicherten Massen mit allen Mitteln aufzuhetzen.
An der Ausserordentlichkeit des Nationalsozialismus
ändert auch die Tatsache nichts, dass bis in die
allerjüngste Zeit Kriegsverbrechen in den allermeisten, wenn nicht
allen bewaffneten Konflikten von einer oder beiden Seiten begangen
wurden und werden. Wohl standen auch hinter dem Staatsterror
der französichen Revolution, Stalins in der UdSSR, Maos in China
und Tibet, Idi Amins in Uganda und Pol Pots in Kambodscha
Ideologien, von diesen verblendete Menschen und wurden
politische Gegner systematisch verfolgt (und im Zweifelsfall
Unbeteiligte mit hingerichtet);
doch keine dieser Ideologien bekämpfte derart ausdrücklich und
konsequent alle Errungenschaften der menschlichen Zivilisation
wie der Nationalsozialismus:
"Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend
will ich. ... Das freie, herrliche Raubtier muß erst wieder aus
ihren Augen blitzen. ... So merze ich Tausende von Jahren der menschlichen
Domestikation aus." (Adolf Hitler über die Jugenderziehung, in:
Hermann Rauschning, Gespräche mit Hitler, Zürich/New York
1940, S. 237, zit. nach Hofer,
a.a.O., S. 88).
Ebenso blieb die Systematik der Tötungsmaschinerie Hitlers und
die Verbissenheit, mit der er die "Endlösung der Judenfrage"
(Unwort aus Sicht der Nazis!)
betrieb, bisher unerreicht.
"In einer wahren Verordnungsflut und -wut wurde
auch das Kleinste und Unscheinbarste geregelt. Der schlimmste Rückfall
eines zivilisierten Staates in vorrechtsstaatliche Verhältnisse geschah
so äußerlich in der Form eines emsigen Bürokratismus."
(Hofer, a.a.O., S. 271)
Was will ich damit sagen? Wo andere Diktatoren grundätzlich, sei es aus eigener Verblendung oder aus taktischen Gründen (zur Täuschung der Öffentlichkeit) eine neue, bessere Gesellschaft verkünden, stellte Hitler die Rückkehr in die völlige Barbarei als Programm auf und zog dieses Programm durch, während die Welt dies lange nicht wahrhaben wollte. Vielleicht ist gerade in diesem Rückfall in die Barbarei der Grund für die Faszination zu suchen, die der Nationalsozialismus bis heute auf rechtsextreme Splittergruppen ausübt. Dadurch ist diese Ideologie bis heute in unseren Breitengraden gefährlich geblieben. Gleichzeitig ist damit aber auch klar, dass eine konsequente Erziehung zu menschlichen Werten wichtig ist. Vor allem muss den Kindern und Jugendlichen glaubwürdig vermittelt werden, dass sich die Anerkennung der gesellschaftlichen Spielregeln für jeden Einzelnen wie auch für die Allgemeinheit mehr lohnt, als der extreme Eigennutz und die nationale Eigenbrötelei. Das Beispiel Deutschlands, Frankreichs und der übrigen Mitglieder der Europäischen Union, die seit dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam ein friedliches, soziales und wohlhabendes Europa geschaffen haben, zeigt, dass man - mit Erfolg und zum Wohle aller - aus der Geschichte lernen kann!
Aufschlussreich ist folgende Tabelle bei Hofer (a.a.O., S. 23):
Berufsgruppe | NSDAP | Gesellschaft | NSDAP relativ zur Gesellschaft |
---|---|---|---|
Arbeiter | 28,1 | 45,9 | 61,2 |
Angestellte | 25,6 | 12,0 | 213,5 |
Selbständige | 20,7 | 9,0 | 230,0 |
Beamte (ohne Lehrer) | 6,6 | 4,2 | 157,1 |
Lehrer | 1,7 | 0,9 | 188,8 |
Bauern | 14,0 | 10,6 | 132,0 |
Sonstige | 3,3 | 17,4 | 18,9 |
Mit anderen Worten: Der Mittelstand (Selbständigerwerbende (Gewerbetreibende) und Angestellte, in reduziertem Mass Lehrer, Beamte und Bauern) liess sich weitaus stärker von Hitlers Versprechungen verführen als die Arbeiterschaft.
Hitler legte schon lange vor seiner Machtergreifung öffentlich dar, dass er in der
Eroberung neuen Lebensraumes die Hauptaufgabe deutscher Politik sah und
dass dies nur in einem blutigen Kampf möglich sein werde
(Adolf Hitler, Mein Kampf, 2 Bände 1925/26, Beleg nach der 220./224. (!)
Auflage, München 1936, S. 728, 742, 710 bei
Hofer, a.a.O., S. 168).
Sein eigentliches Ziel lag - wie in der deutschen Politik des Spätmittelalters -
im Osten: "Wenn wir aber ... von
neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Russland
und die ihm untertanen Randstaaten denken"
(Hitler, a.a.O., S. 728, zitiert bei
Hofer, a.a.O., S. 175).
Hitler bestätigte sein Programm 1933 bei seiner ersten "Ansprache an die
Befehlshaber der Reichswehr":
"Ziel der Gesamtpolitik allein: Wiedergewinnung der pol. Macht. ...
Keine Duldung irgendeiner Gesinnung, die dem Ziel entgegensteht
(Pazifismus!). ...
Beseitigung des Krebsschadens der Demokratie! ... Aufbau der Wehrmacht
wichtigste Voraussetzung für Erreichung des Zieles. ... Wie soll pol. Macht,
wenn sie gewonnen ist, gebraucht werden? Jetzt noch nicht zu sagen.
Vielleicht Erkämpfung neuer Export-Mögl., vielleicht - und wohl besser -
Eroberung neuen Lebensraumes im Osten u. dessen rücksichtslose
Germanisierung."
(Notizen eines Teilnehmers, zitiert nach Boesch, Weltgeschichte, S. 248)
"Solange Deutschland schwach war, musste Hitler seine
kriegerischen Absichten durch eine wortgewaltige Friedenspropaganda
verschleiern."
(Boesch, a.a.O., S. 249)
Das tönte dann so:
"Das nationalsozialistische Deutschland will
den Frieden aus tiefinnersten weltanschaulichen Überzeugungen. Es
will ihn weiter aus der einfachen primitiven Erkenntnis, daß kein
Krieg geeignet sein würde, das Wesen unserer allgemeinen
europäischen Not zu beheben, wohl aber diese zu vermehren."
(Hitler in der Reichstagsrede vom 11. 5. 1935, zitiert nach
Hofer, a.a.O., S. 179)
Allerdings hatte es Hitler schon im März 1935 gewagt, die
"Wehrhoheit" des Deutschen Reiches offen zu verkünden
und damit die Abrüstungsbestimmungen des Versailler Vertrages
einseitig zu kündigen. Die Reaktion Frankreichs, Grossbritanniens und
Italiens war halbherzig, Polen scheute (zu Recht) eine engere Bindung
an die Sowjetunion und lehnte deshalb ein von Frankreich
vorgeschlagenes osteuropäisches Bündnissystem ab, die USA
verfolgten sowohl in Europa wie in Ostasien (japanische Eroberungen!)
eine streng isolationistische Politik [d.h. wollten
sich aus der Weltpolitik heraushalten]
(Boesch, a.a.O., S. 249f)
Kurzum: man liess Hitler in aller Ruhe aufrüsten.
Während Hitler in der Öffentlichkeit die katholische und die evangelische Kirche als
"die wichtigsten Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums" und
"die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens
unseres Volkes" bezeichnete (zitiert nach Hofer, a.a.O., S. 120) und mit dem Vatikan
ein Konkordat [Vertrag über die Beziehungen zwischen Staat und
Kirche] abschloss,
gestand er in privatem Kreise schon Anfang der 1930'er Jahre, 'für das deutsche
Volk sei es entscheidend, "ob es den jüdischen Christenglauben und seine
weiche Mitleidsmoral habe oder einen starken heldenhaften Glauben an Gott in der
Natur, an Gott im eigenen Volke, an Gott im eigenen Schicksal, im eigenen Blute ...
"'
,
kurz:
"Eine deutsche Kirche, ein deutsches Christentum ist Krampf.
Man ist entweder Christ oder Deutscher. Beides kann man nicht sein."
(Rauschning, Gespräche mit Hitler, zit. nach Hofer, a.a.O., S. 121). "Der Nationalsozialismus
wollte die Religion ersetzen ... An Stelle des religiösen Glaubens sollte ein politischer
Glaube treten."
(Hofer, a.a.O., S. 121)
Damals vermochten allerdings
"in der allgemeinen geistigen Verwirrung jener Zeit nur relativ
wenige Menschen diese Dinge klar zu sehen"
(Hofer, a.a.O., S. 120). Zu diesen
wenigen gehörten die Vertreter der "Bekennenden Kirche",
u.a. der deutsche evangelische Theologe
Dietrich Bonhoeffer
(1906 - 1945, im KZ Flossenbürg hingerichtet),
und der Schweizer Karl Barth
(1886 - 1968, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei,
ab 1921 Theologieprofessor in Göttingen und Bonn, Hauptverfasser der
"Barmer Theologischen Erklärung"
gegen Hitler (1934), 1935 wegen seiner Kritik am Nationalsozialismus
entlassen und nach Basel zurückgekehrt). Eine Minderheit der evangelischen Christen
schloss sich der daraus entstandenen Bekennenden Kirche an.
Die Mehrheit der evangelischen Kirche in Deutschland folgte allerdings nicht Bonhoeffer und Barth, sondern arrangierte sich mit Hitler.
Die katholische Kirche versuchte einen offenen Kampf lange zu vermeiden und deckte Hitler stattdessen mit Dutzenden von diplomatischen Protesten ein (Hofer, a.a.O., S. 124). Erst ein päpstliches Rundschreiben von 1937 war eine klare Kampfansage an das Nazi-Regime. Dieses reagierte mit einer Reihe von Schauprozessen gegen katholische Geistliche wegen angeblicher Sittlichkeitsverbrechen. (Hofer, a.a.O., S. 125). Dass im einen oder anderen Fall wohl auch etwas dran war, scheint nach den weltweiten Enthüllungen zu jahrzehntelangem sexuellem Missbrauch in kirchlichen Institutionen (für die sich der Papst Anfang 2002 öffentlich entschuldigen musste) durchaus wahrscheinlich - aber die Schauprozesse der Nazis waren sicher nicht geeignet, solche Vorwürfe zu klären. Im Gegenteil dürften die Schauprozesse dazu beigetragen haben, dass man nach dem Krieg die Vorwürfe ohne Nachprüfung als haltlos zurückwies - nach dem gefährlichen und falschen Motto "Wer von einem Unrechtsregime verfolgt wird, ist unschuldig".
Unmittelbar nach der Machtergreifung 1933 begann die systematische Diskriminierung [Benachteiligung] der Juden in Deutschland, während des Krieges die Ermordung von 6 Millionen Juden und Angehörigen anderer Minderheiten (Sinti und Roma [Fahrende]).
Anzahl der ermordeten Juden | |||||
---|---|---|---|---|---|
Deutschland | 160'000 | Polen | 2'350'000 | ||
Österreich | 58'000 | Sowjetunion | 700'000 | ||
Dänemark | 100 | Tschechoslowakei | 233'000 | ||
Norwegen | 700 | Ungarn | 180'000 | ||
Frankreich | 60'000 | Italien | 8'500 | ||
Belgien | 25'000 | Jugoslawien | 55'000 | ||
Niederlande | 104'000 | Rumänien | 200'000 | ||
Luxemburg | 3'000 | Griechenland | 57'000 | ||
Total Westeuropa | 410'800 | Total Ost- und Südeuropa | 3'783'500 |
© 2003-2004 Markus Jud, Luzern | ![]() |
Letztes Update: 23.8.2004 |
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