Ideen und Ideologien

Seit es Menschen gibt, erfinden sie Werkzeuge und machen sich Gedanken über die Welt, in der sie leben. Viele Erfindungen und Ideen haben das alltägliche Leben der Menschen erleichtert. Neue Ideen können aber auch zum Schaden anderer Menschen mißbraucht werden. Wenn Ideen über das Zusammenleben der Menschen zu einem ganzen Gedankengebäude zusammengetragen werden und eine Gruppe (Partei) für dieses allgemeine oder gar "allein selig machende" Bedeutung beansprucht, spricht man von einer Ideologie. Beispiele für solche Ideologien sind: Kommunismus, Nationalsozialismus, Neo-Liberalismus. In der deutschen Sprache zeigt die Endung -ismus in der Regel an, daß es sich um eine Ideologie handelt (wobei natürlich gilt: Keine Regel ohne Ausnahme).

Nutzen, Gefahren und Mißbrauch von Ideen

Fast immer sind mit einer Idee oder Erfindung auch Gefahren verbunden, schlimmer noch: über kurz oder lang merkt immer jemand, dass er die Gefahren gezielt einsetzen kann, um sich Vorteile gegenüber anderen Menschen verschaffen, ihnen zu schaden oder sie gar damit zu töten. Die Kehrseite von Fortschritt ist der Mißbrauch. Zwei einfache Beispiele von uralten praktischen Erfindungen:

Erfindung Nutzen Gefahr bei Unvorsichtigkeit Missbrauch
Feuer schützt vor Raubtieren Häuser können niederbrennen Brandstifter zünden Häuser an
mit Feuer kann man kochen
Messer Gemüse rüsten mit einem Messer kann man sich verletzen mit einem Messer kann man Menschen töten
Holz schnitzen

Natürlich gibt es für das Feuer und das Messer noch viele weitere nützliche Anwendungen, ja man kann sogar sagen, dass bei den allermeisten Erfindungen der Nutzen die Gefahren und den Missbrauch bei weitem überwiegt. Zudem kann man Menschen auch mit blossen Händen umbringen: Das Problem liegt also nicht beim Werkzeug, sondern beim Menschen, der es missbraucht. Es wäre deshalb völlig falsch, den Fortschritt von Wissenschaft und Technik grundsätzlich zu verteufeln oder gar verbieten zu wollen. Vielmehr müssen wir lernen, mit den Erfindungen richtig umzugehen. Um auf unsere Beispiele zurückzukommen: Zündhölzer und Messer gehören erst in die Hände von Kindern, wenn sie gelernt haben, wie man sie richtig in die Hand nimmt, ohne sich selbst zu verletzen bzw. ohne Möbel, Vorhänge und vielleicht das ganze Haus anzuzünden, und wenn sie gelernt haben, dass man damit nicht anderen Menschen schaden darf.


Idee oder Ideologie?

Mit Gedanken und Ideen ist es eigentlich ganz ähnlich wie mit Werkzeugen und anderen "praktisch anwendbaren" Erfindungen: Gedanken und Theorien helfen uns, die Welt zu verstehen, in der wir leben, und uns in ihr zurecht zu finden. Es hat Tausende von Jahren und Tausende von Ideen gebraucht, bis die "Spielregeln" des Zusammenlebens von vielen Menschen in einem Land den heutigen Stand erreicht hatten. Ohne solche Regeln - von denen einige "obligatorisch" sind (Gesetze), andere mehr oder weniger freiwillig eingehalten werden (Anstandsregeln, Höflichkeit) könnte unsere komplizierte Gesellschaft gar nicht funktionieren.

Es gibt aber auch Gedanken, die verwirren uns eher (sind also "gefährlich", bis wir gelernt haben, richtig mit ihnen "umzugehen"). Und es gibt sogar Leute, die an sich harmlose Ideen so verändern und umdeuten, dass sie andere Menschen schlecht machen und ihnen schaden. Solche Ideen werden manchmal von von ihren Urhebern und ihren Helfern mit missionarischem Eifer verbreitet und anderen Menschen geradezu aufgedrängt, um sich selbst damit Vorteile (z.B. Macht) zu verschaffen. Solche gefährliche und schädliche Ideen nennt man Ideologien. Beispiele von Ideologien sind der moderne Antisemitismus, der Nationalsozialismus (der die Welt in den Zweiten Weltkrieg stürzte) und der Kommunismus (der die Menschen Osteuropas und Chinas jahrzehntelang in Unfreiheit hielt). Derzeit grassiert der so-genannte Neo-Liberalismus: ein Versuch, die Errungenschaften demokratischer Kontrolle zurückzubinden und uns in den grenzenlose Freiheit (für die Mächtigsten) - aber auch ins grenzenlose Elend - des frühen 19. Jahrhunderts zurückzuführen.


Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg

Seit dem Zweiten Weltkrieg ist gerade im deutschen Sprachraum zu Recht die Einsicht gewachsen, dass man mit Ideen vorsichtig umgehen muss. Das darf aber nicht dazu führen, Tatsachen "tot zu schweigen" (die Psychologie sagt dem "verdrängen"), denn verdrängte Ideen finden immer irgenwie wieder einen Weg an die Oberfläche, und nicht selten geht es dann wie mit einem Dampfkochtopf, bei dem das Sicherheitsventil versagt: Wenn der Druck gross genug ist, kommt es zur Explosion.

Wie man heute weiss, fühlte sich Adolf Hitler zutiefst in seinem Innern keineswegs so grossartig, wie er gegen aussen auftrat. Vielmehr litt er zeitlebens darunter, dass er seine Herkunft nicht genau kannte, und dass er als Kind von seinem Vater nicht geachtet wurde. Er war von Selbstzweifeln geplagt und versuchte, dies durch seine Ideologie, den Aufmarsch von Tausenden von Uniformierten und durch seine hasserfüllten Reden zu überspielen. Weil nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg (1914 - 1918) und durch die Wirtschaftskrise der 1920er - Jahre in Deutschland Selbstzweifel weit verbreitet waren, fiel seine Ideologie in Deutschland auf fruchtbaren Boden. Aber auch in Österreich hatte er viele Anhänger.

Was also hilft weiter? Jeder Mensch und jedes Volk hat das Recht, seine Geschichte mit ihren hellen und ihren dunklen Seiten zu kennen. Zu wissen, unter welchen (gegenüber heute wirtschaftlich schwierigeren) Bedingungen unsere Vorfahren lebten, was sie wissen konnten (und was noch nicht!), hilft uns, sie besser zu verstehen und sie zu achten. Andere Menschen achten, heisst zuerst einmal, anzuerkennen, dass sie nicht "dümmer", "primitiver" oder "weniger wert" als wir selbst sind, auch wenn sie anders sind. Andere Menschen achten heisst aber andererseits auch nicht etwa, unkritisch alles gut zu heissen, was sie - sei es aus Unkenntnis oder aus bösem Willen - falsch mach(t)en.

Es tut der Achtung für unsere Vorfahren aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts keinen Abbruch, wenn wir (an)erkennen, dass die nächste Generation aus dem Zweiten Weltkrieg etwas gelernt und z.B. mit der Schaffung des Europarates, der Europäischen Menschenrechtskonvention (deutscher Wortlaut), der Europäischen Union (EU) ein Westeuropa ohne Krieg und mit den Vereinten Nationen (UNO) eine Welt geschaffen haben, in der es seit 1945 wenigstens keinen weltweiten Krieg mehr gab. Dass die Schweiz nach dem 2. Weltkrieg der UNO nicht beitrat (Beitritt erst 2002 als letzter Staat der Welt) und sich bisher auch nicht zu einem EU-Beitritt aufraffen konnte, ist angesichts der unbestreitbaren friedenserhaltenden Leistungen dieser übernationalen Organisationen zu bedauern.


Ideen für das 21. Jahrhundert

Natürlich bleibt für eine (noch) bessere Welt noch viel zu tun - und es ist unsere Aufgabe, daran weiter zu arbeiten! Dazu braucht es einen festen Boden unter den Füssen, grosse (nicht grössenwahnsinnige!) Visionen (d.h. fantasievolle Ideen, wie eine bessere Welt aussehen könnte), den Mut und die Geduld, mit kleinen Schritten zu beginnen aber auch eine tüchtige Portion Mißtrauen gegenüber jeglicher Form von Ideologie, die uns mit allzu einfachen Rezepten und meist auf Kosten von Benachteiligten eine bessere Zukunft verspricht.

In diesem Sinn sollen meine Seiten zur Schweizergeschichte ein klein bisschen dazu beitragen, die Welt unserer Vorfahren, der Kelten, Römer, Alamannen und alten Eidgenossen zu verstehen, die Entwicklung - mit Fortschritten und Rückschlägen - zu sehen und dabei einen Boden zu gewinnen, auf dem wir an der Schweiz des 21. Jahrhunderts als Teil einer weltumspannenden, friedlichen Völkergemeinschaft weiterbauen können.




© 2003-2004 Markus Jud, Luzern Letztes Update: 24.1.2004
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