Geschichte Ungarns - Geschichte der Ungarn

Die Geschichte Ungarns kann und muss einerseits unter dem Gesichtspunkt der Geschichte des geografischen Gebietes, andererseits unter dem Aspekt der Geschichte des Volkes der Magyaren betrachtet werden.

Wie in allen anderen europäischen Staaten ist auch die Bevölkerung Ungarns in ihrer Abstammung keineswegs so homogen wie uns die im 19. Jahrhundert entstandene Ideologie der Nationalstaaten (ein Volk, eine Sprache, ein Staat) weismachen will. Dies ist eine Folge der europäischen Völkerwanderung im frühen Mittelalter (5. - 9. Jahrhundert). Vielmehr gibt es in den meisten europäischen Staaten eine vorherrschende Volksgruppe, die Sprache und Kultur des Landes in unterschiedlichem Masse prägt, während die Kultur der übrigen Volksgruppen im Verlaufe der Jahrhunderte mehr oder weniger in Vergessenheit geraten ist. Im heutigen Ungarn sind die Magyaren die grösste und für die ungarische Sprache und Kultur prägende Bevölkerungsgruppe.

Zur Geschichte des Landes Ungarn muss zunächst gesagt werden, dass das heutige Staatsgebiet Ungarns nach den Gebietsverlusten vor allem in Folge der beiden Weltkriege nur noch rund einen Drittel der grössten Ausdehnung des ehemaligen ungarischen Königreiches ausmacht. Während heute ein beträchtlicher Teil der sich aufgrund von Sprache und Kultur dem Volk der Ungarn zugehörigen Menschen in den Nachbarländern Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Serbien, Kroatien und Österreich wohnt, leben umgekehrt auch im heutigen Staatsgebiet Ungarns sprachliche Minderheiten und es gibt Perioden der Geschichte Ungarns, in denen grosse Bevölkerungsteile des Königreichs Ungarn nicht ungarisch sprechend waren.

Egal ob man dies als kulturelle Bereicherung sieht oder als Problem wahrnimmt - Fakt ist, dass die im 19. Jahrhundert so populäre Idee eines "Nationalstaates mit einem einheitlichen Staatsvolk mit einer Sprache und Religion" gerade auch in Ungarn - wie in den meisten europäischen Ländern - nie der Realität entsprochen hat und ohne die Vertreibung von jahrhundertelang ansässigen Minderheiten auch nicht hergestellt werden könnte. Dies gilt ja selbst für die klassischen grossen Nationalstaaten Deutschland (dänische Minderheit in Schleswig-Holstein) und Frankreich (Basken, Bretonen, alemannisch sprechende Elsässer).

Dazu kommt, dass die Geschichte aller europäischen Staaten stark von den Wanderungsbewegungen der europäischen und vorderasiatiatischen Völker geprägt ist. So gibt es auch in Ungarn Spuren steinzeitlicher Besiedelung, später zogen unter anderem die Kelten auf ihrem Weg von Galatien (der heutigen Türkei) bis nach Frankreich und die britischen Inseln durch Ungarn und liessen sich zeitweise, einzelne Gruppen auch dauernd in Ungarn nieder.

Wie überall in West- und Zentraleuropa gibt es auch in Ungarn bis zum Mittelalter praktisch keine schriftlichen Aufzeichnungen der Einwohner und nur spärliche Beschreibungen aus griechischen und römischen Quellen, die zudem stark durch die Vorurteile dieser Kulturvölker gegenüber den sogenannten "Barbaren" geprägt sind. Für die Zeit vor Christus ist man im Wesentlichen auf Funde aus archäologischen Ausgrabungen angewiesen.

Das Volk der Ungarn (die sich selbst Magyaren nennen) wiederum, mit seiner von allen anderen europäischen Völkern mit Ausnahme der Finnen so stark unterschiedlichen Sprache, kommt aus den sibirischen Steppen und stiess erst im Mittelalter nach Ungarn vor und liess sich dort gegen Ende des 9. Jahrhunderts nieder.

Die Ungarn gehören damit nach den Griechen und Römern, Kelten, Germanen und Slawen zu den letzten Einwanderern im vorneuzeitlichen Europa - wenn man einmal von den Türken (Osmanen) absieht, die 1541 in Ungarn einfielen und 1683 bis vor die Tore Wiens vorstiessen, aber nach der Schlacht am Berg Harsány (1687, auch zweite Schlacht bei Mohács genannt) von einem habsburgischen Heer wieder vertrieben wurden.


Ur- und Frühgeschichte Ungarns

Aus Funden von einfachen Steinwerkzeugen kann man schliessen, dass Im Gebiet des heutigen Ungarns offenbar schon in der Altsteinzeit Menschen lebten. Bis heute gibt es aber kaum Hinweise für eine Besiedelung in der Jungsteinzeit und Bronzezeit. Dies ist allerdings keineswegs ein Beweis dafür, dass Ungarn in dieser Epoche unbesiedelt gewesen wäre.


Altertum: Kelten und Römer

Im 6. Jahrhundert v. Chr. sollen nach einem Bericht des altgriechischen Gelehrten Herodot in Ungarn Steppenvölker gewohnt haben, die mit den Skythen verwandt waren und persisch sprachen.

Im 4. Jahrhundert v. Chr. drangen die Kelten nach Ungarn vor und besiedelten von dort aus nach und nach grosse Teile von Westeuropa. In dieser Epoche wurde Ungarn als Pannonien bezeichnet und war bekannt für eine hoch entwickelte Landwirtschaft und auch Eisenproduktion.

Ab 29 v. Chr. stiessen die Römer nach Ungarn vor. In langen Kriegen mit den Dakern und Germanen wurden grosse Teile des Landes verwüstet. Unter dem späteren Kaiser Tiberius wurde Pannonien zu einer römischen Provinz mit Carnutum als Hauptstadt. Die Ruinen von Carnutum liegen zwischen Wien und der heutigen österreichisch-ungarischen Grenze.

Wie überall entfalteten die Römer auch in Ungarn eine intensive Bautätigkeit. So sind unter anderem in Budapest (römisch Aquincum), Pécs (Sopianae) und Szombathely (Savaria) Reste von grossen Gebäuden mit Zentralheizung und Amphitheater erhalten. Die römischen Verwaltung begann auch wichtige Ereignisse schriftlich zu dokumentieren. Das Christentum verbreitete sich um 400 in Ungarn wie überall im römischen Reich.


Zeit der Völkerwanderung: Hunnen, Germanen und Slawen

Um 430 n. Chr. eroberten die Hunnen Pannonien und übernahmen die Herrschaft von den Römern. Allerdings wurde ihre weitere Expansion 451 n. Chr. in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern gestoppt und nach dem Tod des Hunnenkönigs Attila 453 n. Chr. zerfiel das Hunnenreich schnell. Die in Ungarn ansässigen Völker lehnten sich gegen die Herrschaft der Hunnen auf.

455 n. Chr., zwei Jahre nach dem Tod des Hunnenkönigs Attila, vertrieben die Gepiden, ein germanischer Stamm, die Hunnen aus dem Karpatenbecken. Die Gepiden beherrschten fortan den Osten des Karpatenbeckens, zwei weitere germanische Stämme (die Ostgoten und die Langobarden) den Westen.

Im 6. Jahrhundert n. Chr. stiess das Reitervolk der Awaren aus Zentralasien nach Ungarn vor. Sie nutzen die Machtkämpfe unter den germanischen Stämmen der Gepiden und Langobarden aus und breiteten sich ab 560 n. Chr. im gesamten Karpatenbecken aus. Von dort aus unternahmen sie Eroberungs- und Beutezüge in Mitteleuropa und wurden ein wichtiger Machtfaktor zwischen dem westeuropäischen Frankenreich, dem oströmischen Reich der Byzantiner.

Die Awaren herrschten über eine Vielzahl von Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Herkunft. Es kam immer wieder zu Aufständen, insbesondere der Slawen und der Bulgaren am Rande des Awarenreiches. Der Frankenkaiser Karl der Grosse und der bulgarische Khan Krum schlugen die Awaren in mehreren Schlachten zwischen 791 und 803 vernichtend. Nach dem Untergang des Awarenreiches zog ein Teil der Bevölkerung, insbesondere Slawen, vom Rande des Awarenreichs in das Karpatenbecken. So bildeten im 9. Jahrhundert die Slawen die grösste Volksgruppe im Gebiet des heutigen Ungarn.

Durch die Umwälzungen der Völkerwanderung verschwand das Christentum für die nächsten rund 500 Jahre wieder aus Ungarn. An seine Stelle traten die traditionellen Religionen der neu eingewanderten Völker.


Geschichte der Magyaren

Vor- und Frühgeschichte des ungarischen Volkes

Die ungarische Sprache weist - abgesehen von einer im üblichen Rahmen liegenden Anzahl von Lehn- und Fremdwörtern - keine Ähnlichkeiten mit den grossen europäischen Sprachfamilien (romanisch, germanisch, slawisch) auf. Lediglich zur finnischen Sprache besteht eine gewisse Verwandtschaft.

Die Wissenschaft geht heute davon aus, dass die Magyaren und die Finnen gemeinsame Vorfahren haben, die ursprünglich im heutigen Westsibirien als Nomaden lebten. Um 2000 v. Chr. zogen die Vorfahren der Finnen nach Westen, die Ugrier (Ostjaken, Wogulen und Magyaren) nach Südosten in den nördlichen Ural.

In diesem Gebiet trafen die Ugrier auf die Uriraner, von denen sie Viehzucht, Pferdezucht und wohl auch Metallverarbeitung übernahmen und sesshaft wurden. Dies lässt sich aus archäologischen Funden rekonstruieren. Die ugrische Kultur in dieser Epoche von ca. 1900 bis 800 v. Chr. wird als Andronovo-Kultur bezeichnet.

Um 1000 v. Chr. verschoben sich die Vegetationszonen durch eine Klimaerwärmung weiter nach Norden und die von den Ugriern bewohnten Waldsteppen wurden zu Trockensteppen. Ein Teil der Ugrier wich der Versteppung aus und zog nach Norden ins Gebiet des Flusses Ob (Obugrier), die Vorfahren der Magyaren blieben in ihren Siedlungsgebieten und passten ihre Lebensweise an und wurden wieder Halbnomaden.

Um 500 v. Chr. kühlte sich das Klima wieder ab. Diesmal wanderten die Magyaren nach Süden und trafen dort auf die uriranischen Stämme der Skythen und Sarmaten. Archäologische Funde und Lehnwörter belegen einen intensiven kulturellen Austausch in dieser Epoche.


Die Magyaren zur Zeit der Völkerwanderung

Weitere 1000 Jahre später, zur Zeit der grossen europäischen Völkerwanderung um 500 n. Chr. verliessen die Magyaren die Steppen im südöstlichen Ural und zogen nach Westen ins Gebiet des heutigen Baschkirien. Bei einer Erkundungsreise traf der Dominikanermönch Julianus im Auftrag von Béla IV. 1235 auf Nachfahren der Magyaren zwischen der Wolga und dem Uralgebirge. Auch archäologische Funde von Totenmasken belegen, dass die Magyaren längere Zeit in Baschkirien lebten. Ähnliche Masken wurden einerseits bei den Obugriern und andererseits in ungarischen Gräbern aus der Zeit der Landnahme der Magyaren (um 900 n. Chr) gefunden.

Ein grosser Teil der Magyaren zog allerdings wahrscheinlich im 7. bis 8. Jahrhundert weiter in das Gebiet zwischen Don und Asowschen Meer und wurde dort wieder sesshaft. In dieser Zeit standen die Magyaren unter der Oberherrschaft der Chasaren. Rund 200 chasarische Lehnwörter in der ungarischen Sprache aus dem Bereich von Landwirtschaft und Handwerk zeugen vom grossen kulturellen Einfluss der Chasaren.

Zwischen 820 und 839 kam es im Herrschaftsgebiet der Chasaren zu Aufständen der Kabaren, an denen offenbar auch die Magyaren beteiligt waren. Nach dem Scheitern des Aufstandes flüchteten viele Kabaren zu den Magyaren und wurden dort neben den traditionellen sieben magyarischen Stämmen (Nyék, Megyer, Kürtgyarmat, Tarján, Jenő, Kér und Keszi) als achter Stamm in den Stammesverband aufgenommen. Die Chasaren gewannen jedoch wieder die Oberhand und so sahen sich die Magyaren gezungen, nach Westen weiter zu ziehen.

Der Überlieferung nach liessen sich die Magyaren im sogenannten Zwischenstromland (ungarisch: Etelköz) nieder, dessen genaue Lage nicht geklärt ist. Vermutlich lag es irgendwo östlich der Karpaten und nordöstlich des Schwarzen Meeres. Von dort aus gelangten ihre bis zu 20'000 Mann starken Reitertruppen auf Streifzügen auch erstmals in die Pannonische Tiefebene.

In Etelköz mussten die Magyaren immer wieder mit Angriffen der Chasaren rechnen, sie schlossen deshalb Bündnisse mit Byzanz (Ostrom), Mähren und dem Frankenreich. Gemeinsam mit den Byzantinern kämpften sie gegen die Bulgaren, welche sich ihrerseits mit den aus dem Osten her vorrückenden Petschenegen verbündeten. Um 894 erlitten die Bulgaren einige Niederlagen gegen Byzanz und schlossen einen Separatfrieden mit Byzanz, der die Magyaren nicht beteiligte. Gemeinsam mit den Petschenegen griffen sie daraufhin die Magyaren an.


Die Landnahme der Magyaren in Ungarn

Um 862 unternahmen die Reiterheere der Magyaren von Etelköz (östlich der Karpaten) aus einen Vorstoss nach Westen ins Karpatenbecken. 881 griffen sie ein zweites Mal an. In diesen beiden Feldzügen wurden sie durch die Ostfranken gestoppt.

Erst 889 gelang es den Magyaren, Grossmähren und Teile des Ostfränkischen Reiches zu plündern. 892 wurden sie von den Ostfranken als Verbündete in einem Krieg gegen Grossmähren angeworben. Im gleichen Jahr besiegten sie gemeinsam mit den Ostfranken die Langobarden. Kurz darauf starb der ostfränkische König Arnulf und 894 auch der grossmährische König Sventopluk.

Die Streitigkeiten um die Nachfolge schwächten die Königreiche Grossmähren und Ostfranken. Die Magyaren nutzen das entstandene Machtvakuum im relativ dünn besiedelten Karpatenbecken. Zwischen 894 und 897 führte der militärische Oberbefehlshaber Fürst Árpád die Magyaren über die Karpaten in die Pannonische Tiefebene, wo sie sich dank der natürlichen Grenzen besser gegen die östlichen Nachbarn verteidigen konnten. Um 900 eroberten die Magyaren auch die grossmährische Provinz Transdanubien.

Zur Zeit der Landnahme bildeten die Stämme der Magyaren einen eher lockeren Stammesverband. Zwar wählten sie nach dem Vorbild der Chasaren zwei Führer des Stammesverbandes, einen geistlich-politischen Führer und einen militärischen Oberbefehlshaber, aber die einzelnen Stämme regelten ihre eigenen Angelegenheiten selbst und unternahmen ohne grosse Absprache untereinander Beutezüge in die Nachbarstaaten.

Die Landnahme der Magyaren erfolgte schrittweise von den Karpaten her. Auf dem Reichstag von Szeged im Jahr 898 beschlossen die Magyaren die Grundlagen für die Organisation und Verwaltung ihres neuen Staates Ungarn. Wie die übrigen europäischen Völker waren die Ungarn im Mittelalter eine Ständegesellschaft mit

Zu den Leibeigenen gehörten einerseits die bei der Landnahme ansässigen Slawen und Awaren sowie Kriegsgefangene und andererseits ehemals freie Stammesangehörige, die sich stark verschuldet hatten und ihre Schulden nicht mehr bezahlen konnten.

Von der ansässigen slawischen Bevölkerung übernahmen die Magyaren offensichtlich viele landwirtschaftliche und auch verwaltungstechnische Kenntnisse, wie nicht zuletzt die grosse Zahl von rund 1500 slawischen Lehnwörtern in der ungarischen Sprache aus diesen Bereichen zeigt.

Als Kurszán, der politisch-religiöse Führer des ungarischen Stammesverbandes im Jahr 904 bei einem Festmahl ermordet wurde, nutzte der militärische Oberbefehlshaber Árpád diese Gelegenheit, schaltete Kurszáns Gefolgsleute mit Gewalt aus und riss die Alleinherrschaft an sich. Damit fand zwar die Institution des Doppelfürstentums in Ungarn ein Ende, nicht aber die relativ grosse Unabhängigkeit der einzelnen Stämme und ihrer Stammesfürsten. Erst in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts konnten Árpáds Erben, die Árpáden, den Anspruch auf Alleinherrschaft auch praktisch einigermassen durchsetzen.


Die Zeit der Beutezüge

Wie bei den Germanen und Hunnen im Frühmittelalter und bei den arabischen Sarazenen etwa zur gleichen Zeit beruhten auch in Ungarn die Macht und die wirtschaftliche Stärke des Adels darauf, dass die Adligen als militärische Führer erfolgreich die Eroberung neuer Gebiete und die Unterwerfung der ansässigen Bevölkerung planten und leiteten sowie im Falle des Erfolges einen grossen Teil der Kriegsbeute (insbesondere die versklavten Ureinwohner und Kriegsgefangenen) für sich beanspruchten. Zu diesem Muster gehörten immer auch kürzere und längere Beutezüge über das eigene Siedlungsgebiet hinaus, bei denen nicht die dauerhafte Eroberung eines Gebietes, sondern nur das Beute machen angestrebt wurden. Von einzelnen Gebieten wurden auch Tributzahlungen eingefordert - heute würde man dies als staatliche Schutzgelderpressung bezeichnen.

Im 10. Jahrhundert hatten sich die Germanen in West- und Südeuropa bereits etabliert und ihre mächtigsten Fürsten als Könige und Kaiser die Staatsgewalt relativ stark zentralisiert, so dass die Raubzüge der einheimischen Raubritter mehr und mehr in Konflikt mit der Zentralgewalt gerieten und von dieser entsprechend eingedämmt wurden.

Die Magyaren dagegen waren eben erst in Ungarn angekommen, ihre Stammesfürsten kämpften untereinander noch um Macht und Vorherrschaft und konnten sich auch noch nicht auf eine grosse Anzahl von Leibeigenen zur Bearbeitung der Felder abstützen. So unternahmen die Magyaren im 10. Jahrhundert rund 50 Beutezüge nach Westeuropa, die sie bis nach Norddeutschland, Spanien, Süditalien führten. Die romantische ungarische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts stellt die Beutezüge als «grosse Abenteuer» („kalandozások“) dar.

Die Westeuropäer sahen die «Abenteuer» der ungarischen Reiterarmeen allerdings zunehmend als eine Plage. 933 verweigerte der ostfränkische König Heinrich I. eine geforderte Tributzahlung und bot ein grosses Heer auf. In der Schlacht bei Riade erlitten die Ungarn eine erste empfindliche Niederlage. In der Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg (955) wurden sie vernichtend geschlagen. Drei ungarische Stammesfürsten (Bulcsú, Lél und Súr) wurden gefangen genommen und anschliessend gehängt.

Der Osten des heutigen Österreich fiel zurück an die Ostfranken und der ungarische Grossfürst Taksony, ein Enkel Árpáds, übernahm die Kontrolle über das vom Stammesfürst Lél eroberte Neutraer Fürstentum (Süden der heutigen Slowakei). Taksony stoppte die Beutezüge nach Westen, verlangte aber von Byzanz nach wie vor Tribut. In der Schlacht bei Arkadiupolis 966 stoppten die Byzantiner auch die ungarischen Beutezüge nach Süden.


Die Christianisierung Ungarns

Im Jahr 950 unternahm einer der ungarischen Stammesfürsten eine Reise nach Byzanz, um sich dort im griechisch-orthodoxen Ritus taufen zu lassen und dadurch die Beziehungen zum oströmischen Reich zu stärken. Auf dem Rückweg brachte er einen Missionsbischof aus Konstantinopel nach Ungarn mit. Weil aber gleichzeitig andere Stämme weiterhin Beutezüge unternahmen und von Byzanz Tribut forderten, kam es vorerst nicht zu einem dauerhaften Bündnis.

Bedeutsamer für die Christianisierung Ungarns war der Entscheid des Fürsten Géza, eines Urenkels Árpáds, nach der ungarischen Niederlage in der Schlacht auf dem Lechfeld (955) gegen den deutschen Kaiser Otto I. die Beziehungen mit dem Deutschen Reich zu verbessern. Mit dieser Motivation liess er sich im katholischen Glauben taufen und holte christliche Missionare aus Westeuropa ins Land, ohne jedoch der traditionellen Religion seiner Vorfahren innerlich ganz abzuschwören.

Erst Gézas Sohn Vajk, der sich auf den Namen Stephan (ungarisch: István) taufen liess, gilt als der eigentliche Vater der Christianisierung der Ungarn. Durch die Heirat Stephans mit Gisela, der Tochter des Herzogs von Bayern wurde die enge Bindung mit Deutschland besiegelt. Stephan I. empfing 1001 von Papst Silvester II. die Königskrone. Für seine Verdienste um die Christianisierung der Ungarn wurde Stephan I. nach seinem Tod heilig gesprochen.


Blütezeit des Königreichs Ungarn

Im 11. Jahrhundert konsolidierten die Nachfolger Stephans I. ihre Macht über das Königreich Ungarn. Ab 1102 kam es zu einer Personalunion mit dem Königreich Kroatien, auch Bosnien und die kleine Walachei gerieten längere Zeit unter ungarische Herrschaft. Eine Invasion der Mongolen (1241-42) verwüstete Ungarn. König Bela IV. liess danach starke Festungen aus Stein erreichten, um gegen solche Angriffe besser gewappnet zu sein. In diesem Kontext wurde auch ein Schloss auf dem Burghügel in Buda gebaut. Die Dynastie der Arpáden starb mit András III. aus, der von 1290-1301 regierte.

Von 1308-1387 wurde Ungarn von Königen aus dem Hause Anjou regiert. König Charles Robert aus dem Hause Anjou verlegte den Regierungssitz von Visegrad nach Buda, sein Sohn liess einen neuen Palast auf dem Burghügel errichten. Nachdem Ludwig der Grosse ohne männliche Nachkommen gestorben war, folgte ihm sein Schwiegersohn Sigismund von Luxemburg auf dem Thron. Sigismund baute den gotischen Palast auf dem Burghügel von Buda und die Schlösser von Visegrad und Tata. Die Dynastie der Luxemburger regierte Ungarn von 1387-1437.

Unter König Matthias Corvinus (1458–1490) erreichte Ungarn seine grösste Ausdehnung und umfasste kurzzeitig auch Ostösterreich, Mähren und Schlesien. Ungarn war im 15. Jahrhundert ein geistiges Zentrum in Europa und verfügte u.a. über die zweitgrösste Bibliothek nach derjenigen des Vatikans.


Dreiteilung des Reiches: Ungarn unter den Osmanen

1453 eroberten die Osmanen (Türken) das byzantinische (oströmische) Reich und stiessen in der Folge immer weiter auf den Balkan vor. Bei Mohács kam es 1526 zu einer entscheidenden Schlacht zwischen den Osmanen und den Ungarn. Dabei wurden der ungarische König Ludwig II. und ein grosser Teil des ungarischen Adels im Kampf getötet. Ungarn wurde geschwächt durch einen Thronfolgestreit zwischen Erzherzog Ferdinand von Österreich und Fürst Johann Zápolya um die Nachfolge Ludwigs II.

Nach Fürst Zápolyas Tod 1540 eroberten die Osmanen in rascher Folge zwischen 1541 und 1543 die wichtigsten Städte Zentralungarns: Buda, Gran, Székesfehérvár (Stuhlweissenburg) und Pécs (Fünfkirchen). Zentralungarn wurde als Provinz direkt ins Osmanische Reich eingegliedert. Das damalige Fürstentum Siebenbürgen - das seit den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts Rumänien zugeschlagen wurde und bis heute eine starke ungarische Bevölkerungsminderheit hat, wurde ein osmanischer Vasallenstaat. Der Rest des Königreichs Ungarn, bestehend aus dem Burgenland (Ostösterreich), einem schmalen Streifen im Westen Ungarns, dem Westen Kroatiens, der Slowakei und Nordungarn fielen als Erbe an die Habsburger.

Faktisch hatte Ungarn damit seine staatliche Selbständigkeit verloren, obwohl die Habsburger rein formell den Titel des ungarischen Königs nicht abschafften, sondern einfach für sich beanspruchten und sich sowohl als Könige von Österreich wie auch als Könige von Ungarn krönen liessen. Haupstadt des habsburgischen Ungarn war Bratislava (Pressburg), die heutige Hauptstadt der Slowakei.

Ungarn blieb lange Zeit das Schlachtfeld zwischen dem Osmanischen Reich und der Habsburger Monarchie. Weite Landstriche wurden durch Kampfhandlungen, Übergriffe auf die Zivilbevölkerung, Hunger und Epidemien entvölkert.


Die k.u.k. Doppelmonarchie Östereich-Ungarn

Nach der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken 1683 gelang es der habsburgischen Armee mit deutscher und polnischer Unterstützung die von den Osmanen verwalteten Teile Ungarns zurück zu erobern. Dies geschah allerdings nicht aus Grosszügigkeit den Ungarn gegenüber, sondern einerseits aus dem Wunsch nach Erweiterung der eigenen Macht und andererseits aus dem Bedürfnis heraus, zwischen dem habsburgischen Kernland mit seiner Hauptstadt Wien und dem Osmanischen Reich eine Pufferzone zu schaffen.

Um die Bevölkerungsverluste aus den Türkenkriegen auszugleichen siedelten die Habsburger nach der Rückeroberung deutsche und serbische Auswanderer in Ungarn an. Dadurch wurden die Ungarn allerdings im eigenen Land zur Minderheit, immerhin blieben sie die stärkste Bevölkerungsgruppe. Wahrscheinlich war dies aus der Sicht der Habsburger ein durchaus erwünschter Nebeneffekt, weil es den ungarischen Wunsch nach staatlicher Eigenständigkeit dämpfte.

Im 19. Jahrhundert siedelte Kaiserin Maria Theresia die so genannten Donauschwaben aus Süddeutschland in Ungarn an. Die Donauschwaben pflegen bis heute sowohl im ungarischen Kernland wie auch in Siebenbürgen (heutiges Nordrumänien) ihre eigene Kultur.

Gegen die habsburgische Herrschaft gab es immer wieder lange dauernde, letztlich aber erfolglose Aufstände wie die von Adligen angeführten Kuruzenaufstände 1703-1711. Die national-liberale Bewegung des frühen 19. Jahrhunderts erreichte 1825 die Einführung von Ungarisch anstelle des Lateins als offizielle Amtssprache. Graf István Széchenyi erreichte mit seinen Reformen im Bereich von Wirtschaft, Verwaltung und Steuerrecht grosse Fortschritte.

Im Kontext der europaweiten liberalen Bewegung des 19. Jahrhunderts kämpften im Revolutionsjahr 1848 auch die Ungarn für die Abschaffung der habsburgischen Monarchie. Lajos Kossuth und Lajos Batthyány riefen in Debrecen die Unabhängigkeit Ungarns von Habsburg-Österreich aus. Die Revolution wurde allerdings 1849 mit Unterstützung des russischen Zaren niedergeschlagen, 14 Anführer wurden hingerichtet.

Erst durch die äussere Schwäche des Kaisertums Österreich wurde Kaiser Franz Josef 1867 gezwungen, einen Ausgleich mit Ungarn einzugehen. Ferenc Deák nutzte die Gunst der Stunde und erreichte mit klaren, aber moderaten Forderungen die weitgehende ungarische Selbstverwaltung im Rahmen der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Auch dem Königreich Kroatien wurde 1868 Selbstverwaltung unter der gemeinsamen Krone zugestanden. So zeichnete sich bereits im späten 19. Jahrhundert eine Entwicklung vom grossen Vielvölkerreich zu kleineren Nationalstaaten ab. mit begrenztem nationalem Zusammenhalt.

Die liberale ungarische Regierung von Ministerpräsident Kálmán Tisza (1875-1890) modernisierte Wirschaft, Justiz, Sozialwesen und Politik. Finanzminister Sándor Wekerle führte die Besteuerung des Grossgrundbesitzes ein und konnte dadurch die Staatseinnahmen um ein Mehrfaches steigern und den Staatshaushalt auf eine nachhaltige Grundlage stellen.


Erster Weltkrieg

Nach der Niederlage Deutschlands und der k.u.k. Doppelmonarchie im Ersten Weltkrieg wurde Österreich-Ungarn aufgeteilt und musste viele Gebiete in die Unabhängigkeit entlassen oder an Nachbarstaaten abtreten. Ungarn wurde einerseits als Republik unabhängig von Habsburg-Österreich, verlor andererseits aber im Frieden von Trianon etwa zwei Drittel seines Territoriums und seiner Bevölkerung. Darunter waren auch drei Millionen Magyaren in Siebenbürgen, der Südslowakei und der Vojvodina. Bei dieser Zahl ist allerdings zu bedenken, dass einige Gebiete wie Kroatien schon vorher eine deutliche nicht-ungarische Bevölkerungsmehrheit und z.T. auch einen Autonomiestatus hatten.


Zwischenkriegszeit und Zweiter Weltkrieg

In den folgenden Jahrzehnten verwendete die ungarische Politik einen grossen Teil ihrer Energie darauf, die Grenzen von Trianon zu revidieren. Im Bündnis mit dem nationalsozialistischen Grossdeutschland wurden ungarisch besiedelte und weitere Gebiete in den Jahren 1938 bis 1941 wieder dem Staatsgebiet einverleibt.

Als sich die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg abzeichnete, versuchte die ungarische Regierung auf die Seite der Alliierten zu wechseln. Wie in Italien übernahm daraufhin die deutsche Wehrmacht in einem Staatsstreich die Kontrolle.

Erst unter der direkten Verwaltung Ungarns durch die deutsche Wehrmacht und die SS begann die systematische Verfolgung und Deportation der ungarischen Juden. Bis zum Kriegsende fielen rund ein halbe Million ungarische Juden dem Holocaust zum Opfer.


Kommunismus

Nach dem Einmarsch der Roten Armee fiel Ungarn der sowjetischen Einflusssphäre zu; die Ungarische Volksrepublik wurde ausgerufen, wieder in den Grenzen von Trianon.

Am 23. Oktober 1956 lehnten sich die Ungarn in einem Volksaufstand gegen die kommunistische Dikatur auf. Die Sowjetunion schlug den Aufstand mit mit massiver Waffengewalt nieder. Viele Ungarn flüchteten ins westliche Ausland, vor allem nach Österreich, aber auch die Schweiz und die Bundesrepublik Deutschland nahmen viele Flüchtlinge auf. Der 23. Oktober ist seit 1989 ein nationaler Gedenktag in Ungarn.

Anschliessend führte János Kádár mit Billigung der Sowjetunion das System des so genannten Gulaschkommunismus ein. Mit diesem Begriff bezeichnet man den Versuch, einen politisch linientreuen moskauhörigen Kurs mit wirtschaftlichen Erleichterungen zu verbinden, die für die Verhältnisse im damaligen Ostblock relativ weit gingen.


Wende und EU-Mitgliedschaft

1989 ging unter anderem von Ungarn der Fall des Eiserenen Vorhangs und damit das Ende der sowjetischen Herrschaft in Osteuropa aus. Schon vor dem Fall der Berliner Mauer gelang 1989 vielen DDR-Bürgern die Flucht über die ungarisch-österreichische Grenze, was wiederum die DDR-Regierung unter Druck setzte.

Auch für Ungarn stellte der Umbau der kommunistischen Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft eine grosse Herausforderung dar.

Heute ist Ungarn Mitglied der EU, hat aber wie die meisten europäischen Länder mit den Folgen der Finanzkrise und dem Zusammenbruch des lange Zeit stabilen Systems der Wechselkurse zu kämpfen.






© 2012-2013 Markus Jud, Luzern Letztes Update: 30.9.2013
Alle Rechte vorbehalten. Reproduktion grösserer Teile in gedruckter oder elektronischer Form nur mit schriftlicher Einwilligung erlaubt. Zitate nur mit Quellenangabe (Link).

zurück 2. Weltkrieg Home
weiter